Keine Angst vor Links

Der Weblog, ein hybrides Self-Publishing-Format, stößt zunehmend auf das Interesse der Industrie. Von Patrick Dax.

"Weblogs sind in mehrfacher Hinsicht die Antithese traditioneller Webseiten", schreibt der Medienanalyst Steve Outing, "sie sind einfallsreich, kreativ, sarkastisch, unvorhersehbar und im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Online-Medien bereitet es Vergnügen sie zu lesen."

Was aber ist ein Weblog? Ein Weblog oder kurz "Blog" genannt, - so könnte ein Definitionsversuch lauten - ist eine im Idealfall mehrmals täglich aktualisierte, mit Kommentaren versehene, chronologische Auflistungen von Links, die von einer oder mehreren Personen selektiert, kommentiert und ins Netz gestellt werden. Üblicherweise werden dabei die neuesten Einträge an die Spitze der Seite gestellt. Gelinkt wird was gefällt. Das thematische Spektrum richtet sich ausschließlich nach den persönlichen Interessen der "Blogger", deren Anmerkungen und Assoziationen, die vielfach auch den Einbezug des Privaten nicht scheuen, den speziellen Reiz des hybriden Formats ausmachen. Die Grenzen zum öffentlich zugänglichen Tagebuch verlaufen fließend. "Ein guter Weblog", meint Bridget Eaton, die das Weblog-Portal eatonweb betreibt, "besticht vor allem durch die Persönlichkeit des Betreibers und der Qualität der Links."

Rund 6.000 bis 8.000 Weblogs, wird vermutet, finden sich zur Zeit im Internet. Tendenz stark steigend. So ist allein das Portal eatonweb innerhalb eines Jahres von rund 50 Links auf über 900 Adressen angewachsen. Das Spektrum reicht von fundierten Auseinandersetzungen mit Webdesign und Programmiersprachen, wie etwa die von Lawrence Lee betriebene Seite Tomalak´s Realm oder die Scripting News des Software-Programmierers Dave Winer, über obskure Fundstücke aus dem WorldWideWeb (obscurestore.com) bis hin zur nichtssagenden Kinderzimmerchronik. Während sich etwa das Linux-Portal slashdot.org zur regen Diskussionsplattform rund um die Open-Source-Bewegung entwickelt hat, glänzen andere Weblogs durch kreative Designlösungen, Multimedia-Anwendungen oder stilsichere Schreibe. "Weblogs", schreibt Scott Rosenberg, Redakteur beim Online-Magazin Salon, "zählen zu den am schnellsten wachsenden, innovativsten Formaten, die das Web heute zu bieten hat."

"What´s new"

Weblogs sind weder neu noch einzigartig.. Kommentierte Links sind so alt wie das Internet. Eine Genealogie fällt daher schwer. Die von Netscape-Begründer Marc Andreessen in den frühen neunziger Jahren auf dem Server des US-amerikanischen National Center for Supercomputing Applications (NCSA) betriebene "What´s new"-Seite wird gerne als Vorläufer des Weblogs zitiert. Auch die mitunter hyperintimen und reichlich mit Links gespickten digitalen Tagebücher des ehemaligen Hotwired-Mitarbeiters und Webdesigners Justin Hall (links.net) werden oft als Inspirationsquelle genannt. Die Bezeichnung "Weblog" jedenfalls geht auf John Barger zurück, der seit 1998 unter der Adresse.robotwisdom.com täglich bis zu 50 kommentierte Links, vorwiegend aus den Bereichen Showbiz und Informationstechnologie, postet.

Publishing-Software

Ein Grund für die Popularität der Link-Kompilationen ist sicherlich auch in den seit rund einem Jahr im Netz frei erhältlichen Publishing-Systemen zu suchen. So kann sich etwa Dave Winer, CEO der Sofware-Plattform Userland, über rund 6000 neue Mitglieder freuen, seit er im Oktober 1999 die Publishing-Software "Manila" samt Web-Space zum freien Gebrauch zur Verfügung stellte. "Manila" ermöglicht die Aktualisierung der Seiten über ein Browserfenster und bietet darüber hinaus eine Reihe von Applikationen, von Online-Umfragen bis hin zur Forumsfunktionalität. Neben dem unter der Adresse editthispage.com vertriebenen Content-Management-System bieten auch blogger.com, pitas.com sowie groksoup.com mehr oder weniger komplexe, vor allem aber kostenlose Online-Tools zum Bespielen von Websites an.

Die Industrie entdeckt den Weblog

Galten die mitunter sperrigen Hyperlink-Kompendien bis vor kurzem noch als verschrobene Nischenprodukte, so macht sich in jüngster Zeit auch ein Interesse der Medienindustrie am innovativen Format bemerkbar. Seit Oktober 1999 etwa postet der amerikanische Journalist Jim Romenesko, der mit sich den Logs obscurestore.com und mediagossip.com einen Namen gemacht hatte, seine Nachrichten aus der Medienwelt auf den Seiten des Poynter Institutes, einer Journalistenschmiede aus Florida. Im vergangenen März wurde die unter der Adresse medianews.org abrufbare Seite mit einem, zumindest an der US-Westküste angesehenen, Webby-Award für die beste News-Site bedacht. Der Technologie-Kolumnist der kalifornischen Tageszeitung San Jose Mercury News, Dan Gillmor, publiziert seit einigen Monaten sein eJournal mit großem Erfolg im WorldWideWeb. Auch der Internet-Auftritt der britischen Tageszeitung The Guardian versucht seit seinem Relaunch im Mai dieses Jahres, ebenso wie eine Reihe anderer Online-Medien, mit einem Weblog zu reüssieren.

"Märkte sind Gespräche"

Findige Marketingstrategen sehen in den kommentierten Linklisten bereits ein Mittel um Besucher auf Unternehmenspräsentationen im Internet zu locken. So legt etwa Sean Carton vom US-Branchenmagazin Clickz unter Verweis auf das Geek-Portal slashdot.org, das "Community"-bildende Potenzial des Weblogs nahe. Anstatt Web-Mail oder Chat-Boards einzurichten, rät Carton, sollten Unternehmen, die auch im Netz auf Kundenbindung setzen, über produktbezogene vertikale Portale virtuelle Gemeinschaften schaffen. "Als Mischung aus Forum und Link-Liste", so Carton, "sind die Besucher über den Weblog am Aufbau des Portals beteiligt." Dass dabei auch über den Tellerrand des eigenen Angebots geblickt wird, setzt er als gegeben voraus. Damit befindet er sich auch im Einklang mit den vorwiegend im anglo-amerikanischen Raum rege diskutierten Thesen des "Cluetrain-Manifestos". "Märkte sind Gespräche", heißt es in dem von den US-Marketing- und Internetveteranen Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger herausgegebenen Thesenamalgam. "Die vernetzten Märkte", wird ebendort postuliert, "wissen über Produkte der Unternehmen mehr als die Unternehmen selbst." Über einen prouktbezogenen Weblog, so Carton, lässt sich die Kommunikation mit dem Kunden, Kunden-Support und Nachrichten aus der Branche ideal verbinden. Ob sich der Weblog auch außerhalb des individuellen Rahmens durchsetzt, darf indes bezweifelt werden, sind es doch die für das klassische "Self-Publishing" charakteristischen fehlenden hierarchischen Zwänge und Auflagen, denen das Format vielfach seine kreativen Ausbrüche verdankt. "Andererseits eignen sich Weblogs ideal dazu", bemerkt Jim Romenesko, "die Präsentation eines Unternehmens persönlicher zu gestalten."

Mediengerechte Informationsgestaltung

Usability-Guru Jacob Nielsen jedenfalls sieht in den Weblogs nicht nur ein praktisches Beispiel für mediengerechte Informationsgestaltung, sondern auch ein Exempel für webadäquates Denken: "Von den Weblogs lernen wird, dass alles was das Netz zu bieten hat, als Erweiterung des eigenen Service verwendet werden kann. Je mehr gelinkt wird, desto attraktiver wird eine Seite." Beispiele für Sites, die unter der gänzlich falschen Annahme, über Links User zu verlieren, Mauern um ihren eigenen Content errichten, beklagt Nielsen, gäbe es ohnehin schon genug.

Links

Weblog-Portale
eatonweb.com/
www.linkwatcher.com/
indirection.skunkworks.cx/Computers/Internet/WebLogs/index.php3
www.jjg.net/portal/tpoowl.html

Ausgesuchte Weblogs
Eigenheads.com/
Kottke.org/
www.langreiter.com/
www.medianews.org/
netdyslexia.editthispage.com/
obscurestore.com/
p3k.org/
Robotwisdom.com/
Scripting.com/
Slashdot.org/
Tr.pair.com/
weblog.mercurycenter.com/ejournal/

Publishing-Tools
Blogger.com/
Editthispage.com/
Groksoup.com/
Pitas.com/

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