Public Private Alltag
Internet-Weblogs sind öffentliche Chroniken ganz privater Angewohnheiten Netzpublikationen zwischen Tagebuch und Journalismus. Von Thomas Prlic.
Im Dezember musste sich Henso ein paarmal ziemlich ärgern. Zweimal lief er in den Hof und zertrümmerte vor Wut ein paar leere Bierflaschen. Aber vielleicht war das nur eine schlechte Phase. Mitte November etwa freute er sich über »das bisschen sicher gut gemeinten Sonnenschein« und berichtete begeistert über den sizilianischen Kaffee, den er getrunken hatte. »Nach dem ersten Schluck war ich euphorisch und hab mich gefühlt wie in der Bar Roma in Cefalù. Nach der zweiten Tasse war mir schlecht. So soll es sein.« Wieder ein anderes Mal berichtet Henso, dass er sich selbst die Haare geschnitten hat, oft redet er von seinem Computer. Jeder, der will, kann das mitverfolgen. Henso erzählt seine kleinen, privaten Geschichten ganz öffentlich auf seiner Hompage im Internet.
Die Geschichten, die Henso schreibt, wären eigentlich nicht sonderlich spektakulär wenn es nicht Tausende im Netz genauso machen würden. Weblogs nennen sich solche Seiten, auf denen oft im Minutentakt upgedatete, logbuchartige Eintragungen gemacht werden. Inhaltlich reicht die Spanne von scheinbar belanglosen, tagebuchartigen Einträgen über kommentierte Linklisten bis zu fachspezifischen Diskussionen. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Internetforen oder Newsgroups steht hinter einem Weblog immer nur eine Person oder eine kleine Gruppe von Personen die »Blogger«. Sie betreiben die grafisch meist recht dürftigen, dafür umso textlastigeren Homepages, und sie sind es, die auch die Inhalte vorgeben. Die Blogger erzählen, und wer will, liest mit.
Seit im Jahr 1999 Programme wie »Blogger« und »ManilaSites« online gingen, die es auch Programmier-Unkundigen ermöglichten, mit ein paar Klicks eine eigene Homepage zu erstellen und sie zu aktualisieren, haben sich Weblogs zu einem regelrechten Boom entwickelt. Jeder, der will, kann seither ganz einfach im Internet Texte publizieren und sie selber verwalten, er braucht dafür keinerlei Kenntnisse in HTML (einer Programmiersprache zur Erstellung von Homepages), nur ein kleines bisschen Webspace.
Die ersten Blogger mussten sich ihre Weblogs noch selbst basteln. Justin Hall, einer der Pioniere des Genres, begann 1994, seinen Alltag in allen persönlichen Details im Internet zu protokollieren und die Schlüsselwörter in seinen Texten mit Querverweisen, so genannten Links, zu versehen. Die bereits legendäre Seite mit der bezeichnenden Adresse links.net ist heute immer noch online und ein Paradabeispiel dafür, wie typische Weblogs eigentlich funktionieren: viel Text durchsetzt mit zahllosen Links. Findige Wiener Computerfreaks entwickelten 1997 ein eigenes Format ein Redaktionstool namens »Helma«. »Aus beruflichem Interesse und aus Lust, im Netz in formlosem Rahmen zu publizieren«, erinnert sich der Wiener Softwareentwickler Hannes Wallnöfer. Mit drei Freunden nutzte Wallnöfer »Helma« einige Zeit als privates Forum damals eines der ersten Weblogs in Europa, auch wenn der Name dafür noch gar nicht existierte. Eigentlich wurde Helma aber als Montagesystem für die ORF-ON-Redaktion gebaut, heute laufen fast alle ORF-ON-Seiten über eine (mittlerweile adaptierte) »Helma«-Version.
Nicht nur das Verlinken ist charakteristisch für Weblogs. Auf Seiten wie Wallnöfers Privat-Homepage Henso.com kann jeder Leser auch Kommentare zu den Alltagsgeschichten des Schreibers abgeben. Andere Blogger verzichten ganz auf die Meinung fremder User. Tobi Schäfer etwa, Autor der Seite P3k.org und ebenfalls von Beginn an am »Helma«-Projekt beteiligt, sieht seine Homepage als »Ausdruck meiner Gedanken, soweit sie die Öffentlichkeit etwas angehen«, lässt dabei aber niemanden außer sich selbst sprechen. »Tagebuch würde ich keines schreiben«, meint der dreißigjährige Programmierer. Seine Gedanken dokumentiert er dafür in Form kommentierter Netzrecherchen. Zu den Links schreibt Schäfer immer kurze Erinnerungshilfen für sich selbst oder Erläuterungen für Leser. Schließlich könnte die im Netz gefundene Information auch für andere interessant sein.
Einen Einstieg in die Welt des Bloggens findet man am einfachsten über eine der Weblog-Listen auf Seiten wie Weblogs.com, oder man surft über die persönlichen Lieblingslinks, die auf den meisten Weblogs angeführt sind, von Seite zu Seite. »Links sind wie das Schmiermittel von Weblogs«, meint Hannes Wallnöfer, »aber es gibt da viele komische soziale Rituale.« Viele Blogger linken auf andere Seiten nur in der Hoffnung, dann dort ebenfalls einen Link zu bekommen. Für Außenstehende entsteht durch solchermaßen geschlossene Kreisläufe oft der Eindruck einer eingeschworenen Community. »Aber ich finde das nicht wichtig«, meint der erfahrene Internetspezialist. Dass so ein selbstreferenzieller Kreis trotzdem auch für Nichteingeweihte interessant sein kann, zeigt die Geschichte eines Lesers der Henso.com-Seite. Vor dem Jahreswechsel wurde dort eine Sylvesterparty angekündigt ein Steirer fühlte sich auch eingeladen und erschien dann am 31. Dezember zur Feier, obwohl er keinen von Wallnöfers Freunden kannte. Immerhin war der Gast so sympathisch, dass er sogar übernachten durfte.
Von autobiografischer Dichtung bis zur Computer-Fachsimpelei reicht das Spektrum der im Web exponierten Werke. Und nicht immer muss dabei gleich ein Seelenstriptease im Spiel sein. Die Seite Popo.at etwa ist politisch ambitioniert und entstand aus einer Mailaktion nach dem »Fall Omufuma«. Wieder andere Weblogs widmen sich Fachgebieten wie gourmetgerechtem Kochen oder elektronischer Musik. »Ich bin nicht so ein Computerfuzzi«, meint Klaus Makotter, der gemeinsam mit drei Freunden das Weblog (und die gleichnamige Clubveranstaltung) Euroranch.org betreibt. Dafür gibts auf Euroranch.org zahlreiche Kurzartikel über Musik samt der im Netz entdeckten Lieder zum Anhören. Sogar Plattenfirmen wurden schon auf die Seite aufmerksam und versorgen die Macher der Seite regelmäßig mit Neuerscheinungen.
Die geballte Sammlung an Fachwissen auf solchen Seiten führte erst in den letzten Wochen in der Community zu einer heftigen Diskussion darüber, ob Weblogs nicht eine neue Form von Journalismus seien. Jedenfalls können sich Blogger Freiheiten herausnehmen, die in klassischen Medien nicht zulässig wären. »Ich schreibe nur über Musik, die mir auch gefällt«, meint etwa Euroranch-Autor Makotter.
»P3k«-Schreiber Tobi Schäfer experimentiert mittlerweile schon mit neueren Formen des Internet-Publizismus. Auf so genannten »Wiki«-Seiten können öffentlich zugängliche Dokumente von jedermann weiter- oder umgeschrieben werden. Aber auch im Weblog sieht Schäfer noch Entwicklungspotenzial: »Es gibt da noch viele Nischen zu besetzen. Das ist eine tolle Zeit«, freut sich der Webentwickler über die große Freiheit im Netz. »Und dass es temporär ist, wissen wir sowieso alle.«
Links
Pionier-Seiten
www.links.net
www.robotwisdom.com
www.camworld.com
Große Weblog-Liste
www.weblogs.com
Tools zum Selberbauen
www.blogger.com
www.manilasites.com
Österreichisches Ur-Weblog
classic.helma.at
Bilder (Fotograf: Heribert Corn)
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